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Timo Luthmann: Politisch aktiv sein und bleiben (Paperback, Unrast Verlag) 4 stars

Die politischen und persönlichen Herausforderungen nehmen für engagierte Menschen stetig zu. Wie können wir – …

Praktische Solidarität mit von Burnout, Trauma oder Krankheit betroffenen Aktiv*istinnen

In Gesprächen mit betroffenen Personen habe ich danach gefragt, was sie sich von ihren Freundinnen/Genoss*innen gewünscht hätten [...]

- Sieh die Kraft und Stärke der Person und reduziere sie nicht auf die Krankheit. Frage die Person selbst, was sie machen kann und schenke ihr das Vertrauen, das zu tun. Erzähle Menschen nicht, was sie nicht machen dürfen. Dies schmerzt doppelt, weil Autonomie ein wichtiger Wert für viele Aktivist*innen ist.

- Frage, was die Person braucht und wie ihr in einer unterstützenden Art zusammenarbeiten könnt. Nimm der Person nicht ihre Entscheidungsgewalt und respektiere ihre Grenzen. Die Person kann sich besser öffnen, wenn sie keine Angst haben muss, dass jemand anderes versucht, zu entscheiden, was sie machen darf und kann. Wenn die Person sich traut, selbst ihre Grenzen aufzuzeign, müssen andere auch nicht auf ihren Zehenspitzen laufen, weil sie wissen, dass sie auf sich selbst achtet.

- Offene Kommunikation ist sehr wichtig! Dieses Vertrauen ist die beste Unterstützung, weil derdie Betroffene dann mehr teilen kann. Ersie braucht sich nicht länger zu schämen und erfährt somit weniger Einsamkeit oder Isolation.

- Auch praktische Hilfe ist willkommen, abr das Vertrauen, dass echte Freundinnen zu ihr halten ist das Wichtigste. Zu wissen, dass gute Freundinnen sie als Person sehen und nicht ihre Diagnose oder Krankheit in den Vordergrund stellen, hilft enorm.

- In einer politischen Gruppe ist es wichtig, dass die betroffene Person willkommen geheißen wird, auch dann wenn sie länger abwesend war.

- Eine Klimaaktivistin: "Es ist wichtig, nicht einfach so zu tun, als sei nichts passiert, weil mensch denkt, die 'kranke' Person könne es nicht vertragen, gefragt zu werden, wie es ihr geht, als müsse das Thema Burnout oder Krankheit um jeden Preis vermieden werden. Das ist ähnlich wie bei Sterbefällen: Wir Linken haben oft keine Traditionen, keine Skripte für den Umgang mit Tod, Trauer, Krankheit. Kann sein, dass es Leute gibt, die lieber gar nicht gefragt oder kontaktiert werden wollen.Aber grundsätzlich würde ich nach meiner eigenen Erfahrung sagen: Ich habe mich auch in der Klinik und ebenso davor und danach gefreut, wenn Leute etwas über meine Erfahrungen wissen wollten. Wenn es gerade nicht ging, konnte ich das sagen und dann war es okay. Ich war manchmal ein wenig traurig, dass so wenige Menschen sich bei mir gemeldet haben und es gibt Leute, von denen ich weiß, dass sie dachten, das sei besser für mich - nicht mit den alten aktivistischen Kontakten konfrontiert zu sein. Das stimmt aber in meinem Fall nicht. Vorsichtig nachzufragen, kann meiner Meinung nach nicht falsch sein und hilft dem/der Kranken sich nicht so isoliert zu fühlen."

- Sei da, zeig der betroffenen Person, dass du an ihr interessiert bist, auch wenn sie vielleicht nicht in der Lage ist, weiter an den Aktivitäten teilzunehmen, die ihr gewöhnlich geteilt habt. Wenn eine Person krank ist, und sich nicht örtlich bewegen kann, ist es gut, sie zu besuchen, anstatt sie alleine zu lassen.

- Hilf ihr bei praktischen Angelegenheiten wie Ämter- oder Arztbesuchen, und insgesamt beim Umgang mit den stressigen oder lebenserschöpfenden Situationen

- Frage sie, was sie braucht und wie du helfen kannst, anstatt zu versuchen, an Lösungen ohne ihre Beteiligung zu denken.

- Zeige der Person Wertschätzung für das, was sie schon gemacht hat, während sie lernt, mit ihrer Krankheit zu leben.

- Beurteile Menschen nicht daran, wie sie gerade aussehen. Einige Krankheiten sind von außen nicht zu erkennen, andere Menschen blühen in Gemeinschaft anderer Menschen auf, aber sind eigentlich wesentlich kranker als sie erscheinen. Es ist zusätzlich belastend für eine Person, die wirklich leidet, wenn sie fühlt, dass Menschen ihr nicht glauben oder denken, dass sie übertreibe.

- Es hilft schon eine Menge, einfach nur als Freund*innen da zu sein und bspw. zusammen zu kochen. Dazu brauchst du weder besonderes Spezialwissen noch musst du mehr tun als das, was sich für dich gut anfühlt oder wozu du Energie hast.

- Sei nicht zu ängstlich, Sachen falsch zu machen, denn ein Mensch, der versucht für eine andere Person da zu sein, und trotzdem noch Fehler macht (aber gewillt ist zu lernen), ist um ein vielfaches besser als eine Person, die einfach verschwindet.

- Nimm Verdrießlichkeit und andere Dinge nicht persönlich. Bevor dein Ego reagiert, du dich verteidigst usw., sei dir bewusst, dass es mehr im Zusammenhang mit der Krankheit als mit dir stehen könnte und es normalerweise abflauen wird, wenn du eher ruhig und mitfühlend als defensiv und wütend reagierst. Aber sei auch bereit zuzuhören, in dem Fall, dass dein Verhalten die betroffene Person stört oder beeinträchtigt (wenn eine Person bspw. stechende Kopfschmerzen hat wird sie mit Sicherheit ziemlich sensibel auf Lärm reagieren).

- Passt auch auf die Menschen auf, die sich um andere kümmern und hört darauf, was sie brauchen könnten, wie z.B. eine Auszeit von der Pflege oder ob sie eine Person zum Teilen ihrer Erfahrungen benötigen.

- Inklusivität bedeutet, dass Orte für Menschen zugänglicher werden, die weniger Energie haben.

- Lass es die betroffene Person wissen, dass es okay ist, dass sie da ist, wie auch immer sie krank oder gesund ist, und dass du verstehst, dass sie nur das macht, was sie kann und dass alle damit einverstanden sind. So beteiligte sich z.B. eine von Krankheit und Burnout betroffene Aktivistin im Trainerinnenteam eines längeren Nachhaltigen-Aktivismus-Seminars und wurde willkommen geheißen mit der Ansage, dass sie nichts tun brauche, sondern einfach ihre Anwesenheit eine Bereicherung sei, was von der Betroffenen als wohltuend empfunden wurde.

- Stelle sicher, dass Menschen, die krank sind, nicht unter Druck gesetzt werden, Dinge zu tun, damit sie akzeptiert/wertgeschätzt oder gemocht werden. Allgemein braucht es mehr Bewusstsein für die Kultur der Hierarchie 'wer tut am meisten'.

- Rufe Betroffene an und halte den Kontakt.

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