Mein Gefühl sagt mir, dass wir es schaffen werden. Wir rechnen mit drei Stunden für den Aufstieg. Aber schon als wir in großen Schritten die Bäregghütte passieren, sehen wir draußen am Faulhorn breite Regenschleier vor grauschwarzen Gewitterwolken. Wir geben Gas. Immer wieder schaue ich zurück, ob die Wolken schon in die Gletscherschlucht hereindrücken. Bei den ersten Ketten, mit denen der Weg gesichert ist, prüfe ich vorsichtig, ob ich irgendeine Spannung spüre. Nichts. Also weiter.
Der Weg ist steil und anspruchsvoll, führt immer wieder durch Absturzgelände. Wir gehen so schnell wir können. Draußen über Grindelwald zucken die Blitze, Donner rollt ins Tal. Erste Regenschauer durchnässen uns gleich bis auf die Haut. Als wir wenig später die Tür zur Schreckhornhütte öffnen, bricht hinter uns die Hölle los. War meine Entscheidung, noch loszugehen, tatsächlich richtig gewesen? Kann ich mich tatsächlich auf meinen Instinkt verlassen?
Bergsteigen birgt Gefahren, das ist eine Binsenweisheit. Jede und jeder hat es dabei selbst in der Hand, wie sehr er sich auf diese Gefahren einlassen will. Die richtige Selbsteinschätzung, ausreichend Können und Wissen, aber auch eine "gesunde" Intuition ist bei jeder Tour enorm wichtig. Das Magische auf großen Touren ist für mich, dass sich die Sinne schärfen, sobald ich mich auf die Natur einlasse, mich einfühle in Wetter, Berg und eben den Gletscher. Sobald das geschieht, bin ich eins mit der Natur.
— Alpengletscher by Andrea Fischer, Bernd Ritschel (Page 159)