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Fyodor Dostoevsky: Der Großinquisitor (Hardcover, Deutsch language, 2001, Ammann)

Von einem, der nicht aufhören kann, zu verfolgen und zu verbrennen

Wie bin ich auf die Erzählung gestoßen? Bei der Lektüre von Ursula Le Guins "Freie Geister" stieß ich wiederholt auf das Wort Anarchismus. Ich fragte mich, was sich da eigentlich genau dahinter verbirgt und erinnerte mich an einen Essay von Noam Chomsky "What is the common good". Dort zitiert Chomsky Rudolf Rocker und führt in Bezug auf Religion aus, dass Anarchisten nicht zwingend Atheisten sein müssen, sondern dass eine anacharchistische Haltung "Widerstand gegen die kirchliche Vormundschaft" bedeute. Als Beispiel für solchen Widerstand nennt Chomsky die Befreiungstheologie-Bewegung und -- die Erzählung "Der Großinquisitor" von Dostojewski. Kannte ich nicht, Bildungslücke, also ab in die Bibliothek.

Worum geht es? Im Sevilla des 16 Jahrhunderts, während der blutigen Zeit der Inquisition, wo wöchentlich Ketzer gefoltert und verbrannt werden, kehrt Christus plötzlich und ohne jede Vorankündigung auf die Erde zurück. Die Menschen auf den Straßen und Marktplätzen erkennen ihn, später er vollbringt Wunder. Auch der Großinquisitor erkennt Christus , reagiert aber, indem er ihn festnehmen und einsperren lässt. Er will ihn am nächsten Tag hinrichten lassen. Der Großinquisitor ist nicht in der Lage, seinen Blutrausch zu erkennen, angesichts der Wiederkunft Christus das Foltern und Verbrennen sein zu lassen. Er versucht stattdessen es zu rechtfertigen.

Seine Argumente sind m.E. mit moderner Psychologie zu widerlegen. Klar helfen Gewohnheiten, Freiheit heißt nicht, jede Handlung neu zu hinterfragen. Daraus folgt aber nicht die Sehnsucht nach Autorität, nach Bevormundung. Klar muss der Mensch genug zu essen haben. Wenn er sich dafür aber versklaven muss, dann läuft was gewaltig schief. Und so weiter.

Dostojewski versucht, mich in ein Gespräch mit einem Massenmörder zu verwickeln. Aber ich steige früh genug aus.