In der achten Klasse hatte ich dann endlich das Gefühl, die guten Noten lohnen sich. Ich konnte kurz durchatmen. die guten Noten lohnen sich, Ich Konnte kurz durchatmen. Nach oben blicken. Eine Lehrerin hatte die Meldung bekommen, dass es in Bayern ein neues Stipendienprogramm namens »Talent im Land Bayern« geben sollte. Sie bestellte mich in ihr Büro und fragte, ob sie mich dafür nominieren dürfe. Ein überwältigendes Gefühl. Ich war unfassbar stolz.
Dann setzte sie ein Referenzschreiben auf und ich wurde tatsächlich zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Und ein paar Wochen später bekam ich die Zusage! Als Neuntklässlerin wurde ich in den ersten Jahrgang des Stipendienprogramms aufgenommen. Monatlich gab es dafür etwas Geld. Geld, das ich sofort gespart habe. Geld, das bald lebensnotwendig wurde. Außerdem bekam ich Zugang zu Netzwerktreffen und Workshops. Und so kam ich zum ersten Mal in meinem Leben mit Gymnasialkindern in Berührung. Und zwar mit vielen.
Gleich beim ersten Treffen stellte sich heraus, dass ich als Realschülerin eine Ausnahme in dieser Gruppe sein würde. Die anderen, an die ich mich erinnern kann, besuchten durch die Bank das Gymnasium. Sofort waren die Minderwertigkeitsgefühle wieder da, stärker als je zuvor. Ich traute mich anfangs kaum, etwas zu sagen, um mich nicht zu blamieren. Mir schien es naturgegeben, dass auf dem Gymnasium die klügeren Menschen sind. Obwohl wir am gleichen Programm teilnahmen, war ich sicher, dass die anderen auf jeden Fal schlauer sein mussten. Tief in mir wusste ich, dass ich hier bestimmt fehl am Platz war. Bald würde es jemandem auffallen. Und dann würde ich rausfliegen.
Es waren tatsächlich beeindruckende Jugendliche im Programm. Doch als ich auf Partys oder Treffen deren Gymi-Freundeskreis kennenlernte, wurde mir schlagartig klar: Die sind gar nicht alle besser, gar nicht alle schlauer als ich. Während des ersten Stipendiumsjahres wuchs in mir die Zuversicht, auch ich könne das Abitur schaffen. Das war etwas Neues. Zum ersten Mal seit Langem glaubte ich an mich. Zuvor hatte ich mich einfach gefügt. Ich hatte zwar nach der »Sichtung« ein nagendes Gefühl der Ungerechtigkeit gespürt, aber letztlich hatte ich den Lehrkräften geglaubt, als sie sagten: Du bist nicht gut genug.
Mit diesem neuen Selbstbewusstsein und der Information einer Mitstipendiatin, dass der Konrektor des lokalen Gymnasiums ganz nett sei, machte ich etwas, was mein Leben für immer prägen würde. Am Ende der neunten Klasse, mit meinem 1,3-Zeugnis in der Tasche, marschierte ich los und klopfte an dessen Bürotür. Wieder mit rasendem Herzen und schwitzenden Händen ging ich zu seinem Tisch und rückte damit heraus: Ich würde gerne nach den Sommerferien von der Realschule auf sein Gymnasium wechseln. Ob er mir das bitte erlauben würde. Er blickte zuerst verwirrt, dann ablehnend: »Nein«, sagte er. »Wenn Sie auf ein Gymnasium gehörten, wären Sie auf einem.«