Karsten W. replied to reading crustacean's status
@unsuspicious how does your practice look like now?
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@unsuspicious „Löwen wecken“. Ich meine das Gefühl beim Lesen, nicht den Inhalt…
Den Roman habe ich vor allem deshalb mit in den Urlaub genommen, weil er das "Leitbuch" dieser Bookwyrm-Instanz ist und ich herausfinden wollte, was denn dahinter steckt. Vielen Dank an die Admins für den Hinweis auf das Buch, sonst hätte ich es sicher nicht gefunden!
Als 3. Generation Ost habe ich das Buch zunächst als Reflexion des kalten Kriegs und als Vergleich zwischen Ostblock und westlichem Abendland gelesen. Vor allem haben mich die Probleme auf Anarres angeregt -- wie kommt es zu Machtstrukturen, obwohl Macht gerade nicht gewollt ist, wie kann eine solche Gesellschaft (Hungers)krisen überstehen, wie kann eine solche Gesellschaft mit anderen, aggressiveren Gesellschaft in Kontakt sein?
Neu für mich war in dem Buch der wiederholt auftauchende Begriff des Anarchosyndikalismus. Ich erinnerte mich vage an einen Essay von Noam Chomsky ("What is the Common Good?"), wo dieser über diesen Begriff sprach und dabei Rudolf Rocker zitierte, in etwa "Anarchismus …
Den Roman habe ich vor allem deshalb mit in den Urlaub genommen, weil er das "Leitbuch" dieser Bookwyrm-Instanz ist und ich herausfinden wollte, was denn dahinter steckt. Vielen Dank an die Admins für den Hinweis auf das Buch, sonst hätte ich es sicher nicht gefunden!
Als 3. Generation Ost habe ich das Buch zunächst als Reflexion des kalten Kriegs und als Vergleich zwischen Ostblock und westlichem Abendland gelesen. Vor allem haben mich die Probleme auf Anarres angeregt -- wie kommt es zu Machtstrukturen, obwohl Macht gerade nicht gewollt ist, wie kann eine solche Gesellschaft (Hungers)krisen überstehen, wie kann eine solche Gesellschaft mit anderen, aggressiveren Gesellschaft in Kontakt sein?
Neu für mich war in dem Buch der wiederholt auftauchende Begriff des Anarchosyndikalismus. Ich erinnerte mich vage an einen Essay von Noam Chomsky ("What is the Common Good?"), wo dieser über diesen Begriff sprach und dabei Rudolf Rocker zitierte, in etwa "Anarchismus ist kein feststehendes, in sich geschlossenes Gesellschaftssystem, sondern eine bestimmte Richtung in der geschichtlichen Entwicklung der Menschheit – einerseits die Befreiung des Einzelnen aus dem Zwang von Staat und Gesellschaft, andererseits der enge Zusammenschluss der Menschen auf freiwilliger, unabhängiger Basis." Ich glaube, Ursula Le Guin geht es mehr um diese Richtung der Menschheit statt um den Ost-West-Konflikt.
Und so lassen sich auch die Gedanken des Buches auf andere Bewegungen wie z.B. die Befreiungstheologie in Südamerika übertragen (ein Beispiel das Chomsky nannte).
Beim Lesen des Romans war ich viel im Kopf, im Denken unterwegs. Ähnlich fühlte ich mich beim Lesen von Ayelet Gundar-Goshen.
Das Buch ist nicht idealistisch, sondern widmet sich umfassend der Frage, was alles schiefgehen kann. Das erinnert mich an ein Interview mit Miranda Fricker bei Sternstunden Philosophie, wo sie sagt: "Ich bin geradezu besessen von Dingen, die schiefgehen [...], denn um zu verstehen, wie wir Menschen gut miteinander umgehen können, [...], müssen wir unser Scheitern verstehen. Wir scheitern nämlich nicht zufällig, sondern weil das Scheitern bereits in der Struktur unserer Praxis angelegt ist."
»… Dass das individuelle Bewusstsein vollkommen vom sozialen Bewusstsein beherrscht wird, anstatt dass wir nach einem Ausgleich streben. Wir kooperieren nicht - sondern gehorchen. Wir fürchten uns davor, ausgestoßen zu werden, faul, dysfunktional, Egoisierer genannt zu werden. Wir haben mehr Angst vor der Meinung unseres Nächsten als Achtung für die eigene Entscheidungsfreiheit.
— Freie Geister by Ursula K. Le Guin (Hainish Universum-Reihe, #5) (Page 362)
Soziale Macht, vgl. Miranda Fricker
Wenn genug da war, selbst nur knapp genug, fiel das Teilen leicht. Aber was passierte, wenn es nicht genug gab? Dann kam Macht ins Spiel; Stärke, die auf Recht pochte; Macht und ihr Werkzeug, die Gewalt, und ihr treuester Verbündeter, der abgewandte Blick.
— Freie Geister by Ursula K. Le Guin (Hainish Universum-Reihe, #5) (Page 283)
Und dann gibt es noch diejenigen, die lieber singen und ttanzen statt vorzusorgen. Wie die Grille und die Ameise.
Sabul nutzt dich aus, wo er kann, und wo er es nicht kann, verhindert er, dass du veröffentlichst, dass du unterrichtest, ja sogar, dass du arbeiten darfst. Stimmt's? Das heißt mit anderen Worten, er hat Macht über dich. Woher bekommt er sie? Nicht durch amtliche Befugnis, die gibt es nicht. Nicht durch überragende Intelligenz, die hat er nicht. Er bezieht sie aus der angeborenen Feigheit der durchschnittlich Denkenden. Öffentliche Meinung! Das ist die Machtstruktur, an der er teilhat und die er zu nutzen versteht. Die uneingestandene, unzulässige Regierung, die über die odonische Gesellschaft herrscht, indem sie den Verstand des Einzelnen ausschaltet.
— Freie Geister by Ursula K. Le Guin (Hainish Universum-Reihe, #5) (Page 184)
Miranda Fricker hat sich den Begriff der „sozialen Macht“ überlegt, der die Situation Sabul-Shevek gut beschreibt.
In der Feudalzeit hatte die Aristokratie ihre Söhne auf die Universität geschickt und die Institutionen dadurch geadelt. Heutzutage war es umgekehrt: Die Universität adelte den Menschen. Sie berichteten Shevek voll Stolz, dass der Wettbewerb um Stipendien der Universität Jeu Eun Jahr um Jahr schärfer werde, und meinten damit den demokratischen Grundcharakter der Institution zu beweisen. Er entgegnete: »Ihr baut einen weiteren Riegel vor die Tür und nennt es Demokratie.«
— Freie Geister by Ursula K. Le Guin (Hainish Universum-Reihe, #5) (Page 144)
Nicht dass ich mir die Feudalzeit zurück wünsche. Aber dass die Uni ihre Bedeutung von den Studis bekommt, finde ich eine schöne Idee.
»Exzess ist Exkrement«, hatte Odo in der Analogie geschrieben. »Exkremente, die im Körper verbleiben, sind Gift.«
— Freie Geister by Ursula K. Le Guin (Hainish Universum-Reihe, #5) (Page 117)
Suffizienz
"» … die Besiedlung von Anarres liegt anderthalb Jahrhunderte zurück; seitdem das letzte Schiff die letzten Siedler brachte - herrscht Unwissenheit. Wir ignorieren Sie; Sie ignorieren uns. Sie sind unsere Vergangenheit. Wir sind vielleicht Ihre Zukunft. Ich möchte lernen, statt zu ignorieren. Das ist der Grund meines Kommens. Wir müssen einander kennenlernen. Wir sind keine primitiven Menschen. Unsere Moral ist nicht mehr im Stammesdenken verhaftet, das kann sie nicht sein. Ignoranz in solcher Form ist ein Unrecht, das neues Unrecht gebiert. Deswegen komme ich, um zu lernen.«
— Freie Geister by Ursula K. Le Guin (Hainish Universum-Reihe, #5) (Page 87)
Durchlässigkeit, Offenheit
» … Es ware gut zu wissen, dass wir die ganze Wahrheit über Urras wüssten.« »Was meinst du denn, wer uns belügt?«, rief Shevek. Bedap begegnete ruhig seinem Blick. »Ja, wer, Bruder? Wer außer wir selbst?« Der Schwesternplanet schien auf sie hinunter, klar und hell, ein wunderschönes Beispiel für die Unwahrscheinlichkeit des Faktischen.
— Freie Geister by Ursula K. Le Guin (Hainish Universum-Reihe, #5) (Page 55)
Wahrscheinlich ist es ein guter Standpunkt, immer anzunehmen, nicht die „ganze“ Wahrheit zu wissen. Ungerecht ist es, wenn Teile der wissbaren Wahrheit vorsätzlich vorenthalten werden.
Die Autorin ist 1970 geboren und damit etwa meine Generation.
In „Zuhälter“ reagiert die Ich-Erzählerin auf einen Heiratsantrag (zu) lange nicht. Mehr als ein Jahr, ohne dass klar wird, warum. Aufgefordert, den Ring zurückzugeben, trifft sie auf ihre Nachfolgerin und ihre Gefühle zum Mann. Etwas später besucht sie ihn. Was für eine Situation!
In „Aqua Alta“ geht es um ein Treffen mit den Eltern, das Verhältnis zwischen Tochter und Eltern und Unterschiede in der Haltung zum Leben in den beiden Generationen.
Ich hatte ein paar „Ja, genau“ Momente und manchmal Schamgefühle beim Lesen. Gut gefällt mir, dass nicht bewertet wird.
Bonuspunkte, wenn man in jeder Erzählung das Gespenst findet.
Kimoes Gedankengänge schienen sich niemals geradeaus bewegen zu können; sie mussten dies umgehen und jenes meiden und endeten schließlich abrupt vor einer Wand. Sein gesamtes Denken war von Mauern umstellt, und er schien sie überhaupt nicht zu bemerken, obwohl er sich ständig hinter ihnen versteckte.
— Freie Geister by Ursula K. Le Guin (Hainish Universum-Reihe, #5) (Page 23)
Was wohl meine Mauern sind?
Mein erstes Buch von Judith Herrmann.
Ich mag die Uneindeutigkeit der Geschichten. Andererseits fühlte ich mich beim Lesen manchmal wie ein Gast an einem Kaffeetisch, der nicht versteht, worüber gerade geredet wird. Die Erzählungen sind i.d.R. in 20min zu lesen.
Resoniert haben die Erzählungen: Zeugen, Träume, Kreuzungen und Mutter.
In "Zeugen" geht es um zwei Paare am Ende des zweiten Lebensdrittel. Dazu passt m.E. das Gedicht "Abendsonate" von Ralf Rothmann.
"Träume" ist eine Geschichte über den Einfluss eines kaum wahrnehmbaren Dritten.
Bei "Kreuzungen" hat mich das Wort "asozial" berührt. Ähnlich wie bei "Inseln". "Inseln" und "Mutter" sind zwei Geschichten, die mich ansprechen, die ich aber nicht entschlüsseln kann.

Stars, hide your light, so that no one can the black and deep desires within me.
Gemeiner Verrat, hinterhältiger Mord, …