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Sebastian Haffner: Die deutsche Revolution 1918/19. (Hardcover, German language, 2002, Kindler) 5 stars

Überall, wohin die Matrosen kamen, schlossen sich ihnen die Soldaten der Garnisonen und die Arbeiter der Fabriken an, als ob sie auf sie gewartet hätten; fast nirgends gab es ernstlichen Widerstand; überall riß die bestehende Ordnung wie mürber Zunder. Am 5. November hatte die Revolution Lübeck und Brunsbüttelkoog erfaßt, am 6. Hamburg, Bremen und Wilhelmshaven, am 7. Hannover, Oldenburg und Köln; am 8. hatte sie alle westdeutschen Großstädte unter ihre Kontrolle gebracht und in Leipzig und Magdeburg schon über die Elbe gegriffen. Vom dritten Tag an hatte es schon gar keiner Matrosen mehr bedurft, um die Revolution auszulösen; wie ein Waldbrand pflanzte sie sich selbsttätig fort. Überall geschah wie auf stillschweigende Verabredung dasselbe: Die Soldaten der Garnisonen wählten Soldatenräte, die Arbeiter wählten Arbeiterräte, die Militärbehörden kapitulierten, ergaben sich oder flohen, die zivilen Behörden erkannten erschrocken und verschüchtert die neue Oberhoheit der Arbeiter- und Soldatenräte an. Das äußere Bild war überall dasselbe: Überall große Umzüge in den Straßen, große Volksversammlungen auf den Marktplätzen, überall Verbrüderungsszenen zwischen Blaujacken, Feldgrauen und ausgemergelten Zivilisten. Überall wurden als erstes die politischen Gefangenen befreit, nach den Gefängnissen die Rathäuser, die Bahnhöfe, die Generalkommandos, manchmal auch die Zeitungsredaktionen besetzt.

Die deutsche Revolution 1918/19. by  (Page 60)