In seinem Diskurs über den Kolonialismus beschreibt auch Césaire den Nationalsozialismus als »choc de retour« (reverse effect), welcher als eine umgekehrte Wirkung übersetzt werden kann (vgl. Rothberg 2009: 36). Überzeugend argumentiert Césaire, dass die Anerkennung außereuropäischer Opfer barbarischer Gewalttaten erst möglich wurde, als auf europäischem Boden dieselben Verbrechen als solche (an-)erkannt wurden (Césaire 1972 [1955]: 3). Während einige der alliierten Soldaten, die Auschwitz befreiten, Schwierigkeiten bei der Auseinandersetzung mit den Gräueltaten hatten, mit denen sie konfrontiert wurden, ist es an dieser Stelle aufschlussreich, an die Darlegungen des afroamerikanischen Intellektuellen und Schriftstellers James Baldwin zu erinnern (1963: 53): dass nämlich die von den Europäern und Europäerinnen in Europa begangenen Gewalttaten keine Überraschung für die afroamerikanische Bevölkerung war. Sie wusste aus eigener Erfahrung, wozu die Europäer fähig sind, und war im Gegensatz zur weißen US-amerikanischen Bevölkerung nicht über das von den Nazis begangene Blutbad erstaunt. Aus der Perspektive der einst kolonialisierten Völker sowie der Nachkommen der ehemaligen Sklaven waren die Gräueltaten, die von Europäern während der Naziherrschaft durchgeführt wurden, nicht nicht vorhersehbar. Vor diesem Hintergrund scheint es nicht überzeugend, die Shoah als einen »Zivilisationsbruch« (Diner 1988) zu beschreiben. Wenn der Holocaust ein singuläres Ereignis war, dann sicherlich nicht deshalb, weil ›aufgeklärte‹ Menschen zum ersten Mal in der Geschichte ›barbarisch‹ gehandelt haben. Die Beispiellosigkeit liegt vielmehr in der Systematik und kaltblütigen Vorbereitung und Berechnung des Massenmords sowie der Tatsache, dass der Völkermord auf europäischem Boden und nicht in den überseeischen Kolonien stattfand (vgl. auch Castro Varela 2014).